Luca di Montezemolo leidet unter der Krise bei Ferrari in der Formel 1. Der ehemalige Chef ist "sehr traurig" über die Entwicklung, die die Scuderia in den vergangenen Jahren genommen hat. Im Interview spricht er über die Probleme und welche Rolle Sebastian Vettel dabei spielt.
Wie schmerzhaft ist zurzeit das Leben eines jeden Ferrarista?
Di Montezemolo: Ferrari ist nicht mehr das Ferrari, das ich noch vor vielen, vielen Jahren kannte. Oft muss ich an meine Anfänge bei Ferrari denken, Anfang der 70er-Jahre, mit Niki Lauda. Ich war glücklich und stolz. Ich habe 19 Titel gewonnen, als Team-Manager unter Enzo Ferrari und dann als Chairman. Mit drei Piloten habe ich den Fahrertitel geholt: mit Niki Lauda, mit Michael Schumacher und Kimi Räikkönen. Doch es hat sich einiges geändert. Ich erinnere mich an mein Team, das mit Mauro Forghieri und mir sehr stark war. Wir hatten eine gute Mannschaft. Später habe ich auch - Schritt für Schritt - eine Mannschaft aufgebaut, beginnend mit Jean Todt, dann Ross Brawn, Rory Byrne und aus unserem "Nachwuchs" Stefano Domenicali. Jetzt sehe ich nur eine Person, Mattia Binotto, der gleichzeitig Todt, Brawn, Domenicali in einer Person vereint.
Verstehen Sie den Frust von Sebastian Vettel? Er hat kein Vertrauen ins Auto und die falsche Strategie seines Teams kritisiert.
Eine meiner letzten Handlungen bei Ferrari als CEO war, Sebastian zu Ferrari zu holen. Für mich ist Sebastian ein Champion, er ist ein sehr guter Team-Fahrer. Was meine ich? Wie Michael Schumacher: Wenn er gewinnt, tut er das mit dem Team. Wenn er nicht gewinnt, macht er das auch mit dem Team. Er ist wirklich eine Person, die wunderbar in einem Team arbeitet. Er ist sehr schnell. Manchmal braucht ein Champion auch eine gute Umgebung, um es mal so auszudrücken. Die Entscheidung, mit Sebastian nicht zu verlängern, hat man für mich zu früh getroffen. Man hätte sich da mehr Zeit nehmen müssen.
Sebastian fühlt sich momentan nicht wie zu Hause, wenn ich es so ausdrücken darf. Und der psychologische Aspekt eines Fahrers ist fundamental. Sicherlich hat er in Silverstone am Sonntag einen Fehler gemacht, das gehört zum Rennen. Man versteht seinen Ärger. Das Team muss ihm nun eine große Menge Vertrauen impfen, das braucht er. Denn es ist ein sehr delikater Moment für ihn. Ferrari braucht ihn, braucht seine Punkte, braucht Sebastian. Ich hoffe, dass alle im Team ihm helfen werden, dass er in seinem letzten Jahr wieder als Champion auftreten kann. Denn er ist ein Champion.
Ich habe aber Zweifel, ob die Charakteristik des Autos zu Sebastians Fahrstil passt. Seit Beginn des Jahres war er nicht zufrieden. Ohne Frage, das Auto ist nicht wettbewerbsfähig. Am Sonntag war selbst Leclerc von der Performance des Wagens überrascht. Das Auto war 24 Stunden zuvor noch über eine Sekunde hinter Mercedes, im Rennen dann wieder sehr wettbewerbsfähig.
Glauben Sie, beide Fahrer und beide Autos werden gleich behandelt?
Ich weiß wirklich nicht, wie alles zurzeit gehandhabt wird. Ich hoffe aber, ich bin sicher, dass beide Fahrer gleich behandelt werden. Ich sehe keinen Grund, es anders zu halten. Aber noch einmal: Ich weiß es nicht, ich bin wirklich raus aus dem aktuellen Geschehen. Wenn Sie ins Ferrari-Museum gehen, werden Sie kaum Fotos von mir sehen.
Aus Ihrer Ferrari-Erfahrung heraus: Vettel hat keinen Manager, ist ein Einzelgänger. Wie wichtig ist es, als Fahrer die Team-Politik mitzubestimmen, Stärke zu zeigen?
Sebastian ist ungemein wichtig für Ferrari, gerade in diesem Moment, in dem Ferrari kein wettbewerbsfähiges Auto hat. Und Ferrari braucht zwei motivierte Fahrer, die aus dem Auto das Maximum rausholen müssen. Ich hoffe, sie werden sich anstrengen, den Enthusiasmus zurückbringen und Sebastian bestmöglich behandeln, um ihn wieder in die Lage zu versetzen, Erfolg zu haben.
Vettel hat auf den Boxenfunk nach der Zieldurchfahrt lange Sekunden nicht geantwortet. Glauben Sie, die Beziehung Vettel-Ferrari wird eskalieren?
Ich hoffe - im Interesse vieler von Ferrari und von ihm - nein. Das könnte ganz große Probleme erzeugen und ein großer Fehler werden. Auch zu meiner Zeit gab es schwierige Momente, die es mit den Fahrern zu diskutieren galt. Ich denke da an Eddie Irvine oder Rubens Barrichello. Aber es ist wichtig, das unter vier Augen zu klären. Das muss im stillen Kämmerlein, nicht vor der Presse oder der Öffentlichkeit geschehen, um die Fahrer in die beste Verfassung für Erfolge zu bringen. Und du musst den Fahrern ihre Zweifel nehmen, wenn sie etwas nicht mögen oder ihnen etwas nicht passt.
Charles Leclerc ist ein möglicher zukünftiger Champion. Viel Druck lastet auf ihm, weil er jetzt schon Ferraris Nummer eins ist. Wie sehen Sie seine Situation?
Leclerc ist schnell, intelligent. Wenn er einen Fehler macht, ist er in der Lage, den ausfindig zu machen und ihn nicht zu wiederholen. Selbst als er bei Sauber fuhr, war er schnell und hat wenig Fehler gemacht. Aber in der Tat, er ist sehr jung. Aber Michael oder Niki zuvor, als sie zu uns kamen, waren zu Beginn noch nicht so stark, wie sie es dann bei uns geworden sind. Gerade zu Nikis Beginn hatten wir einen Ausnahmefahrer mit Clay Regazzoni.
Der Druck auf Leclerc wird auf jeden Fall sehr, sehr groß sein. Daher ist es so wichtig, dass Ferrari in diesem Jahr noch einen sehr starken Sebastian braucht. Das ist auch wichtig für Charles, denn nächstes Jahr wird er einen enormen Druck ertragen müssen, weil sich Ferrari für einen zwar guten Fahrer wie Carlos Sainz entschieden hat, der aber die Nummer zwei sein wird. Meiner Ansicht nach haben sie es zu früh verkündet, das ist meine persönliche Meinung, vielleicht liege ich da auch falsch. Aber ich verstehe, in einem Team brauchst du eine Nummer eins und einen guten Fahrer, der auch siegen kann und viele Punkte holt, aber mit einer klaren Position innerhalb des Teams. Das war bei Schumacher der Fall, mit Irvine, Barrichello und Felipe. Und ich denke, das hat sehr gut funktioniert.
Sie kennen Mattia Binotto gut, er ist seit mehr als 25 Jahren bei der Scuderia. Ist er der richtige Mann?
Ich erinnere mich noch gut. Binotto hat als junger Mann im Testteam begonnen. Damals konnte man noch mehr testen. Die Antwort ist: Ja! Nur, selbst wenn du Supermann wärst, kannst du nicht zeitgleich Teammanager, Technischer Direktor, der Verantwortliche für die Politik und derjenige, der die Fahrer betreut, sein. Ich denke, Binotto ist gut, aber ich glaube, er braucht Leute um sich herum, die ihm mehr helfen.
Mit Luca di Montezemolo sprach Jan Krebs
August 12, 2020 at 12:46PM
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